Jeremia 29
Predigt über Jeremia 29,1-14a (i.A.)
vom 8. Februar 2015
Hundert Wege Gott zu finden
Pastor Andreas Kern

Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte.

So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:

Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.

Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.

Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.

Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr.



Allein mitten in der Welt, fern von Gott – so haben sich die Weggeführten aus Gottes Volk gefühlt. In Babylon, in einer fremden Kultur, zwischen fremden Menschen, fremden Göttern, fern von allem, was ihnen etwas bedeutete. Fern vom Tempel, fern von den Orten des Heils, und womöglich auch fern von Gott?

Der, an dem sie hängen mit ihren Herzen und Seelen, der sozusagen zurückbleibt in Jerusalem, den sie nicht spüren können in der fremden Umgebung. Was macht er?

Er macht sozusagen Fern-Seelsorge, durch Mittels-Männer. Er lässt den Propheten Jeremia einen Brief schreiben, in dem er sich noch einmal neu vorstellt.

Und da sind nun einige Zeilen und Worte drin, die es in sich haben, liebe Gemeinde:

Hört was ich zu sagen habe, ihr Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen. Gott selbst sagt: ich habe euch wegführen lassen. Ist das nicht unerhört? Übernimmt er damit nicht eine schmähliche Rolle, in der er nicht gut aussieht? Ja, das ist so. Aber gleichzeitig macht er damit Nebukadnezar, der gewiss kein freundlicher und netter Typ war, zu einem Handlanger und Erfüllungsgehilfen seines Willens. „Der hat in meinem Auftrag gehandelt und euch mitgenommen“ – das ist es, was das Volk hören soll.

Und dann kommt die erste Anweisung: Richtet euch dort ein, wo ihr seid! Nehmt teil am Leben und schottet euch nicht ab, versucht nicht, unter euch zu bleiben: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.

Und gleich die zweite Anweisung hinterher: Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl. Das ist doch ein tolles Bild! Wo wir Menschen landen, da ist unser Ort – auch vor Gott ist da unser Ort! Wenn es der Stadt, dem Ort gut geht, dann geht es uns auch gut. Gott fordert sein Volk auf, sich zu integrieren – mit Wort und Tat!

Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. An dem Welt-Ort, fern vom Tempel, sind wir nicht fern von Gott. Er möchte nicht, dass wir leiden, sondern dass wir im Frieden leben – mit Zukunft und Hoffnung! Nicht Lösung von der Welt, Erlösung, Rettung vor den Zumutungen wird da zugesagt, sondern Lebens-Möglichkeiten, Aussicht, ein festes Herz!

Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR.

Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden. Gott

Das ist die Kurzform, die unser Paulus-Foyer nun ziert. Sie wird von 4 farbigen Quadraten begleitet, die ein Kreuz entstehen lassen, freilassen, als Wege mit Abbiege- und Umkehr-Möglichkeiten.

Wir lassen Gott also nicht hinter uns, sondern sind auf dem Weg zu ihm egal wo! Da, wo wir leben, da spüren wir ihn auf, da erkennen wir ihn, da begegnen wir ihm, finden ihn. In allen möglichen Bewegungen, Beobachtungen, Gefühlen und Gedanken – können wir Gott finden.

Es ist unser Glück, dass er sich überall – nein, nicht: verstecken, sondern – zeigen, darstellen kann! Und so zeigen nun wir – beispielhaft – ein paar Möglichkeiten, Findens-Weisen, eben: „Wege“ auf, die mit der symbolischen Zahl „hundert“ eher beschrieben als gezählt werden.

Hundert Wege Gott zu finden: Da sind im Frühjahr 2014 ein paar Gemeindeglieder einen Tag lang zusammengekommen und haben unter der Anleitung von Susanne Niemeyer ihre Gottes-Erfahrungen, Gedanken, -Träume und -Phantasien aufgeschrieben. In Roh-Form sozusagen, in Bruchstücken. Susanne Niemeyer hat das dann in eine ästhetisch und literarisch klare Form gebracht, die von den farbigen Quadraten zusammengehalten und gegliedert wird, die Andreas Kasparek als Gesamt-Gestaltung entworfen hat. Dazu will er gerne nach dem Gottesdienst drüben im Paulus-Haus noch Erläuterungen geben.

Und es ist schon erstaunlich und bewegend, was für Bilder und Szenen da entstehen in uns, die wir diese Sätze und Worte nun lesen können.

Ich will nur eines der Worte heute auslegen – und Sie dann einladen, nach dem Gottesdienst hinüberzugehen und selbst zu entdecken, in sich zu schauen und zu hören, zu fühlen, was die einzelnen Worte bei Ihnen anrühren. Zu spüren, welche Ihnen tiefsinnig und gehaltvoll erscheinen und welche vielleicht auch schlicht und einfach nicht zu Ihnen passen.

Und dann lade ich Sie ein: Suchen Sie sich einen Menschen und fragen Sie, welchen Satz, welches Wort der oder die andere anziehend, anregend findet. Sie werden merken, dass wir mit unseren verschiedenen Erfahrungen auch ganz unterschiedliche Empfindungen haben. Ich selbst merke sogar schon, dass sich das bei mir von Tag zu Tag ändert! Weil ich selbst immer wieder anders hinschaue, mit anderen Gefühlen und Erwartungen hinhöre.

Hier ist also einer der hundert Wege Gott zu finden:

Aufhören, Recht haben zu wollen.

Das ist – zugegebenermaßen – für mich oft eine Herausforderung. Vielleicht spricht mich dieser Weg Gott zu finden deswegen auch so an. Ich will ja, wenn ich etwas richtig finde, es auch sagen, auch durchsetzen dürfen. Und wenn ich denke, mein Gegenüber irrt, dann will ich das auch aufzeigen, richtig stellen dürfen.

Aufhören, Recht haben zu wollen.

Wie oft mache ich damit aber das Weiter-Reden und das Kontakt-Halten schwierig? Wie oft erschwere ich das Zusammenleben, wenn ich Recht haben will?

Und: Kann ich in den großen Dingen des Lebens überhaupt Recht haben? In der Liebe, im Glauben, im Hoffen? Kann ich Gott gegenüber Recht behalten? Komme ich nicht eher zu ihm, wenn ich meine Rechthaberei zurückstelle, ihm und anderen Menschen Raum gebe, auch Zeit lasse, und mich selbst weniger ernst nehme? Finde ich Gott nicht tatsächlich leichter, einfacher, wenn ich mich weniger geradlinig verhalte?

Sie spüren vielleicht, was solch ein einfacher Satz, gekennzeichnet als Weg Gott zu finden, in unseren Herzen und Sinnen bewegen kann. Sie merken, dass diese wenigen Worte uns in Bewegung bringen, anstoßen. Vielleicht sind sie manchmal ein bisschen anstößig – im besten Sinn! Weil wir sie als kleine Provokation empfinden müssen, als neue Zutat in unserem Lebens-Menü, als Hinweis: auch so kann man Gott finden, kann also vielleicht auch ich Gott finden.

Und das gilt auch für diese andere Anregung: Die Ausstellung „Gesichter des Christentums“, ab heute für 3 Wochen in 4 Buchholzer Kirchen zu sehen: Menschen haben ihren Glauben an Gott mitgenommen auf ihrem Weg in eine neue Umgebung. Und diese neue Umgebung ist ihnen Heimat geworden, eben gerade weil sie verstanden haben: Wir leben jetzt hier, und Gott ist hier bei uns, wir finden ihn auch hier. Und weil sie gehört und gespürt haben: Wenn ihr mich sucht, dann werdet ihr mich finden – sagt Gott. Die Geschichten und die Gesichter zu den Geschichten, sie zeigen uns, wie Gott wirkt und trägt und hält – durch alle Ortswechsel und Zeiten hindurch.

Lassen wir uns also unseren Glauben durch alle diese neuen Impulse bereichern! Und dabei zuversichtlich festhalten an der Zusage Gottes: Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden.

Amen.