Abschied nehmen – aber wie?
Wenn das Leben eines geliebten Menschen zu Ende geht, erleben wir ein Para­dox an Gefühlen. Die Welt scheint stillzustehen, nur um sich einen Moment später rasend schnell weiterzudrehen. Ein großes Nachdenken über die gemeinsame Zeit und über den Sinn des Lebens wird ganz plötzlich abgelöst von vielen wichtigen Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit.
Die letzte Phase des Lebens bringt – genauso wie der Tod – unzählige Fragen mit sich. Es ist viel zu tun, viel zu klären und zu organisieren. Inmitten von Briefen und Telefonaten stellt sich die Frage, wie der Abschied gestaltet werden kann. Dafür gibt keine einheitliche Lösung, denn jeder Mensch, jedes Leben, ist einzigartig. Hinzu kommt, dass der Abschied eines Menschen mindestens drei Parteien emotional am stärksten betrifft. Da ist die sterbende Person mit ihren Wünschen und Vorstellungen. Da sind die nächsten Angehörigen mit ihrer direkten Beziehung. Darüber hinaus gibt es aber noch den Kreis der Nachbar*innen, (Ex-)Kolleg*innen und Freund*innen. Auch sie haben alle das Bedürfnis, würdevoll von diesem geliebten Menschen Abschied zu nehmen.
Es lohnt sich, diese unterschiedlichen Gefühlswelten, Vorstellungen, Meinungen und Bedürfnisse wahrzunehmen und untereinander abzuwägen. Das Gespräch miteinander kann da helfen, die ggf. unterschiedlichen Sichtweisen nachzuvollziehen und vielleicht in Einklang miteinander zu bringen. Auch das Hinzuziehen einer qualifizierten unbeteiligten Person, wie z. B. Trauerbegleiter*in, Bestatter*in, Seelsorger*in oder Pastor*in kann für eine fundierte Meinungsbildung hilfreich sein.
Auch der weitere Verlauf des Lebensendes, des Todes, der Abwesenheit des Leichnams, der Trauerfeier bis hin zur Beisetzung bringt stets neue Fragen und Unsicherheiten mit sich. Als Pastor erhält man die Möglichkeit, an diesen elementaren Stationen des menschlichen Lebens teilzuhaben. Ein paar wenige Erfahrungen aus diesen besonderen Begegnungen möchte ich gerne teilen.
Ich habe es für mich und die Angehörigen als sehr hilfreich erlebt, wenn ich kurz vor dem Lebensende noch ans Krankenbett gerufen wurde. Dort kann, wenn gewünscht, noch einmal das Abendmahl im engsten Kreis gefeiert werden. Auch die Vorstellungen und Beweggründe für bestimmte Formen der Trauerfeier können besprochen und erörtert werden.
Ein sehr seltenes Ritual ist die Aussegnung im eigenen Haus. Nach der ärztlichen Feststellung des Todes habe ich die Familie besucht und wir haben innegehalten. Eine Kerze, ein Gebet, ein Liedvers, das gemeinsame Vaterunser und das Aushalten der Stille. Mehr braucht es in dem Moment nicht, um gemeinsam dem verstorbenen Menschen einen Abschied von zuhause zu gestalten. In vielen Fällen ist das aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Dann gibt es in aller Regel immer noch die Möglichkeit, sich beim Bestattungsinstitut zu treffen und dort eine Aussegnung vorzunehmen.
Für die Gestaltung der Trauerfeier sind die unterschiedlichsten Szenarien denkbar. Fragen nach Musik und Gesang sind dort nur ein Thema neben vielen anderen. Das wird gemeinsam im Trauergespräch besprochen und entschieden. Bei der Trauerfeier empfinde ich es auch als Besucher als ein wertschätzendes Zeichen, beim Betreten der Friedhofskapelle zunächst zum Sarg/zur Urne zu gehen, ein kurzes stilles Gebet zu sprechen und mich dann zu meinem Platz zu begeben.
Am Grab erlebe ich die Beileidsbekundungen als eine hilfreiche Geste der Trauergemeinde. Ich merke, dass ich mit meiner Trauer nicht alleine bin. Ich spüre, dass andere Menschen diesen letzten Weg mit mir gehen.
Der Ewigkeitssonntag / der Totensonntag naht. An dem Tag verlesen wir in unseren Friedhofskapellen noch einmal die verstorbenen Gemeindeglieder, die auf dem jeweiligen Friedhof beigesetzt wurden. Es ist ein Tag des Erinnerns. Ein Tag, an dem die Trauer wiederaufkommen kann. Ein Tag, an dem die geliebte Person noch einmal im Vordergrund stehen darf. Erinnerungen werden wach, Gefühle machen sich breit. Wir merken einmal mehr, dass das Leben endlich ist. Eine Mischung aus Abschiedsschmerz und Dankbarkeit für das geschenkte Leben macht sich breit. In der Ansprache an dem Tag soll es um den dankbaren Blick zurück und um den Trost und die Hoffnung für den Blick nach vorn gehen.
Pastor Arne Hildebrand